Exposé

Geboren in eine arme Bauernfamilie kämpft Käthe gegen die Widerstände ihrer Zeit, die entbehrungsreiche Kindheit, die Nazi-Diktatur und die Gründung der DDR um ihre Freiheit, ihre Persönlichkeit und manchmal auch um ihr Leben.

Käthe wird 1908 als neuntes Kind einer armen Bauernfamilie in der Eifel geboren und muss nach dem frühen Tod der Mutter ihre Familie und den bäuerlichen Hof versorgen. Sie ist begeistert von Bildung und Literatur, Bücher sorgen dafür, dass sie sich in schönere Welten versetzen kann, und ermöglichen ihr kleine Fluchten.

1930 lernt sie ihre große Liebe Peter, einen reichen jüdischen Fabrikantensohn, kennen. Doch wegen der Standesunterschiede und Hitlers Rassenpolitik hat diese Liebe keine Chance. Käthe kann Peter nicht vergessen und wird ihr Leben lang unter dieser unerfüllten Liebe leiden, die auch dazu führt, dass sie die Ideologien des Dritten Reiches ablehnt. Sie geht 1938 eine Vernunftehe mit Paul ein, den sie zwar nicht liebt, durch den sie aber versorgt und geschützt ist. Als Paul 1940 eingezogen wird, kümmert sie sich um Haus und Hof der Familie, in die sie eingeheiratet hat und in der sie sich nicht willkommen fühlt. Als sie 1945 aus Angst vor den Russen mit ihren drei kleinen Kindern flieht, ahnt sie nicht, dass sie Opfer einer Massenvergewaltigung durch russische Soldaten wird, was sie ihr Leben lang traumatisiert. Ende 1945 kehrt Paul aus russischer Gefangenschaft zurück, durch seine schrecklichen Erlebnisse wesensverändert. 1952 wird der Besitz der Familie zwangsenteignet. Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre verlassen Käthes älteste Kinder die DDR, den Staat, der beginnt, sie ihrer Freiheit zu berauben. Erneut erleidet Käthe durch die Trennung von den Menschen, die sie am meisten liebt, tiefe Verletzungen, an denen sie fast zerbricht.

Trotz aller Traumata, die Käthe durchleidet und an ihre Tochter weitergibt, wächst sie an allen Schicksalsschlägen und nimmt ihr Leben immer mehr selbst in die Hand. Dieser Mut und die Tatkraft leben in ihrer Tochter weiter.

Persönlicher Bezug

Oben links: Auf dem Foto ist das Berliner Haus in Neuzelle zu sehen. Es wurde in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts erbaut. Das Foto stammt aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es ist das Geburtshaus meines Großvaters und meiner Mutter. Rechts über dem Laden steht der Schriftzug „Paul Henschel“. Das war mein Urgroßvater. Käthe hat in diesem Haus fast 50 Jahre gelebt.

Mitte: Dieses Foto ist von 1915/1916. Es zeigt die vier Milbert- Schwestern. Ganz links ist Anna (1894-1967) zu sehen. Daneben sitzt Mariechen (1906-1916). Dann kommt Käthe (1908-1988). Ganz rechts befindet sich Maria (1892-1993). Es ist das älteste Foto, dass ich besitze.

Unten links: Hier ist die Klasse der Hauswirtschaftsschülerinnen 1922/1923 in Waldbreitbach abgebildet. Käthe sitzt in der unteren Reihe ganz rechts. Schräg links hinter ihr ist Leni Rüth zu sehen.

Unten rechts: Das ist das Hochzeitsfoto meiner Großeltern Käthe und Paul von 1938. Ganz hinten links steht Käthes Bruder Maternus (1905-1987). Direkt neben ihm in der hinteren Reihe ist Hedwig (1899-1987) zu sehen. In der hinteren Reihe, der dritte von links, ist Otto (1894- 1962), die fünfte von links ist Lenchen (1914-1986).

7 Fragen an Käthe

Sie würde mich augenzwinkernd und schmunzelnd als vorlaut und naseweiß beschreiben und hinzufügen, dass ich eine Person bin, die sich nicht alles gefallen lässt. Sie wäre sehr stolz auf das, was ich in meinem Leben alles erreicht habe. In ihrer blumigen Sprache würde sie jedoch betonen, dass man sich selbst nicht so wichtig nehmen und nicht um alles so ein Theater veranstalten soll.  Hätte sie zu Lebzeiten erfahren, dass ich ein Buch über sie geschrieben hätte, wäre sie empört gewesen, dass ich sie dadurch so in den Vordergrund geschoben hätte. Sie wäre erstaunt darüber, was ich alles recherchiert hätte. Gleichzeitig lautete einer ihrer Sinnsprüche „Bescheidenheit ist eine Zier – und darum verkneif sie dir“. Sie würde sich darüber freuen, dass die jungen Frauen von heute nicht mehr so viel kämpfen müssen wie noch vor hundert Jahren.

Käthe war eine Person, die sich nicht unterkriegen ließ und die Wert auf gutes und feines Benehmen legte, ohne dabei etepetete zu sein. In Gesellschaft wirkte sie ruhig und zurückhaltend, vielleicht sogar mit einem Hauch Schwermut, der von ihr ausging. Sie konnte sich zu manchen Themen sehr empören und entrüsten, z. B. wenn sich jemand schlecht benahm oder sich dumm verhielt. Sie verfügte über eine blumige Sprache und hatte zeitlebens den „Eifler Singsang“ in ihrer Stimme. Sie hatte für jede Lebenslage einen Sinnspruch auf Lager, z.B. „Dann eben nicht, liebe Tante, dann heiraten wir eben den Onkel, gibt auch ein schönes Kind“, wenn man ihr etwas versagte oder ablehnte, oder „Alles Scheiße, deine Elli“, wenn etwas misslang. Sie hatte immer ein Buch bei sich, in dem sie, wann immer sich die Gelegenheit bot, las. Sie liebte besonders Gedichte von Herman Löns.

Wir beide lieben Bücher! Wir lieben Romane und spannende Abenteuergeschichten, die in vergangenen Jahrhunderten spielen. Und Bücher, die in fremden Ländern spielen, in die man am liebsten während des Lesens sofort reisen würde.

Uns beiden ist gemein, dass wir schlechtes Benehmen nicht ausstehen können, z.B. extreme Unpünktlichkeit, ungehobelte Tischmanieren, lautstarke Auseinandersetzungen oder Streitigkeiten, in denen Menschen sich beleidigen, hinterlistiges Tratschen und Arroganz. Uns beiden missfällt es sehr, wenn Menschen sich – warum auch immer – über andere stellen und sich für etwas Besseres halten, z.B. Reiche über Arme, Weiße über Schwarze, Männer über Frauen, etc.  In der heutigen Zeit würde Käthe sehr die Nase darüber rümpfen, wenn Menschen mehr auf ihre Handys schauen als auf ihr Gegenüber.

Ich beschäftigte mich schon seit vielen Jahren mit Familienforschung. Wenn man sich in Deutschland mit Familienforschung beschäftigt, stößt man zwangsläufig auf unschöne Themen, wie z. B. die beiden Weltkriege, die Zeit des Nationalsozialismus und die deutsch- deutsche Teilung. Irgendwann realisierte ich, dass Käthe und ihre Tochter, meine Mutter, mit ihren Biografien exakt diese Themen abbilden. Ich recherchierte Käthes Leben und stellte irgendwann fest, dass diese Geschichte aufgeschrieben gehört, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Je mehr ich recherchierte, desto mehr spürte ich, dass all diese Themen auch in mir bestehen und existieren.

„Käthe“ wurde zu einem großen Teil auf der Insel Ameland geschrieben, einem Ort, der voller Frieden und Ruhe ist und der es mir immer wieder ermöglicht, ganz tief in mich hineinzuhorchen. Auch mit „Traudel“ habe ich dort begonnen.

2013, nachdem meine Mutter Traudel gestorben war, las ich das Buch von Sabine Bode „Die vergessene Generation“. Während des Lesens schon hatte ich das Gefühl, dass hier über meine Großmutter und meine Mutter geschrieben wurde. Das Buch hat mich nachhaltig beeindruckt. Hier geht es um die sogenannte transgenerative Traumaweitergabe von Kriegskindern an ihre eigenen Kinder.

Mein beruflicher Werdegang, da besonders meine therapeutischen Zusatzausbildungen und meine Arbeit mit psychiatrisch erkrankten Menschen, haben u.a. dazu geführt, dass das Thema für mich immer präsenter wurde und zudem eine Basis für meinen Roman bildete, was sich im Untertitel „Überall ist Fremde“ niederschlägt.

Ein Großteil der Lebensgeschichte meiner Großmutter ist überliefert. Den Teil, den ich nicht recherchieren konnte und der nicht überliefert ist, ist von mir so hinzugefügt worden, wie es hätte sein können. Ich habe nicht den Anspruch die Deutungshoheit der Narration zu haben, aber vieles, was ich romanhaft ergänzt habe, könnte sich so abgespielt haben. Ich habe mich am Zeitstrahl der Geschichte orientieren können und dazu viel geforscht. Viele Familiengeschichten sind erzählt und überliefert worden und ich habe sie schon als Kind aufgesaugt wie ein Schwamm z.B. die von Wilhelm Garnieß, der Verehrer von Hedwig in den 30er Jahren. Sie selbst hat zu Lebzeiten die Geschichte von ihm und ihr immer wieder erzählt. Sie ist auch nach ihrem Tod weitererzählt worden. „Käthe“ ist voll von diesen Geschichten, die sich so und ähnlich zugetragen haben. Die militaristische Vergangenheit meines Großvaters Paul in den 20er Jahren war für mich ganz neu und ich habe sie der Familienchronik meines Großonkels Otto entnommen.

Die Geschichte der Görlitzer Familie Arnade habe ich diversen Geschichtsbüchern entnommen und sie ist traurigerweise wahr. Wie schön, dass ich ihr Andenken durch „Käthe“ bewahren kann.

Ich bin fasziniert von Frauen, die sich gegen die gesellschaftlichen Vorgaben ihrer Zeit stellen und ein anderes Leben wählen, als es ihnen vorbestimmt ist. Des Weiteren beobachte ich gerne Familien im Wandel der Zeiten, vor dem Hintergrund großer Anpassungsleistungen, Ressourcen und Überlebensstrategien.

Die Familie meines Mannes, die ich ebenfalls erforsche, wird in meinem dritten Buch, dass bereits in der Planung ist und für das ich fleißig recherchiere, eine große Rolle spielen. Während dieser Recherchen bin ich auf eine hochinteressante Frau gestoßen, die eine Hauptrolle in diesem Buch spielen wird.

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